Biografiearbeit in der Altenpflege: 5 Tipps und Beispiele

Erinnerungen mit alten Gegenständen wecken. Die Sinne mit Düften anregen. Fotos anschauen oder über längst vergangene Zeiten plaudern. All das gehört zur Biografiearbeit in der Altenpflege. In der Langzeitpflege ist diese Erinnerungsarbeit unverzichtbar, denn ohne die Kenntnis der jeweiligen Lebensgeschichten ist eine individuelle Versorgung nicht möglich. Was sich genau dahinter verbirgt und wie Sie dieses Wissen in Ihrer täglichen Arbeit nutzen können, beleuchtet dieser Artikel.

„Es ist nicht immer einfach, ein Gespräch in Gang zu bringen“, erklärt Elke H., die seit 13 Jahren als Betreuungskraft (§ 53c SGB XI) in einem Berliner Pflegeheim mit 130 Bewohnerinnen und Bewohnern arbeitet. „Da sitzt ja nicht die Familie zusammen. Das sind fremde Menschen, die da zusammengewürfelt werden.“

Manchmal schafft sie Gesprächsanreize mit Fotos. Gut geeignet sind persönliche Bilder, aber auch Symbolfotos oder Sehenswürdigkeiten. Viele ältere Menschen sind gern gereist. Sie fühlen sich mit bestimmten Ländern verbunden. „Da brauche ich dann nur ein Stichwort geben und sie erzählen.“ Oder Elke H. spricht gemeinsame Erfahrungen an. Bestimmte Lebensumstände prägten alle Mitglieder einer Generation: „Wie hießen die Einkaufsmöglichkeiten in der DDR? Was hat damals ein Brötchen gekostet?“

Alltägliches ist gut geeignet, um Gespräche anzustoßen.

„Nur wenn sich jemand öffnet, auch in der Gruppe, baust du ein Vertrauensverhältnis auf. Es wagt nicht jeder, etwas zu erzählen. Wenn du es schaffst, dass sich ein richtiges Gespräch entwickelt, ist das toll. Die Bewohner fühlen sich dann wohl.“

Damit holt die Betreuerin geschickt die Vergangenheit der Pflegebedürftigen in die Gegenwart. Dadurch weckt sie Erinnerungen. Und sie stärkt ihre Identität.

Worum geht es überhaupt bei der Biografiearbeit in der Altenpflege?

Biografiearbeit ist aktivierende Pflege: Zum einen hilft die Beschäftigung mit der Lebensgeschichte dabei, Pflegebedürftige besser zu verstehen. Zum anderen können Sie mit diesem Wissen vorhandene Ressourcen aktivieren. Sie entdecken vielleicht neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die Seniorinnen und Senioren oder können das Vertrauensverhältnis vertiefen. Genau das macht die Pflege individuell und persönlich.

In Deutschland leben 1,6 Mio. Menschen mit Demenz. Pro Jahr kommen mehr als 300.000 dazu. Die Vergangenheit ist häufig der Schlüssel zum Verständnis der Erkrankten. Beispielsweise irrt ein ehemaliger Schichtarbeiter möglicherweise nachts oder in den frühen Morgenstunden durch die Einrichtung, weil er befürchtet, nicht pünktlich zur Arbeit zu kommen. Biografiearbeit hilft dabei, ungewöhnliches Verhalten zu verstehen.

Menschen möchten gesehen werden. Anerkennung und Wertschätzung haben Einfluss darauf, ob Pflegebedürftige essen, sich bewegen und therapeutische oder pflegerische Maßnahmen akzeptieren. Durch Erinnerungsarbeit blicken sie optimistischer in die Zukunft. Herausforderndes Verhalten tritt seltener auf. Das erleichtert die Pflege und Betreuung.

Und was gehört zu einer Biografie?

Vermutlich denken Sie im ersten Moment an Daten und Fakten wie das Geburtsdatum, den Beginn der Ausbildung, das Hochzeitsdatum oder den Einzug ins Pflegeheim. Daraus besteht ein Lebenslauf. Dieser ist allerdings nicht identisch mit einer Biografie. Die Biografie eines Menschen ist subjektiv und persönlich. Dabei stehen Erinnerungen, Gefühle und die eigene Bewertung des Erlebten im Mittelpunkt:

  • Was hat der pflegebedürftige Mensch in seiner Kindheit und Jugend erlebt?
  • Was hat er gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt und gefühlt?
  • Wie denkt der pflegebedürftige Mensch?
  • Welche Tätigkeiten machen ihn glücklich?
  • Was für Interessen und Hobbys hat er? War er Mitglied eines Vereins?
  • Welche Wünsche, Hoffnungen und Ängste beschäftigen ihn?
  • Welche Ansichten und Vorstellungen vertritt er?

Die Biografie gibt einen Einblick in die Persönlichkeit. Ein echtes Verständnis entwickelt sich erst mit der Zeit.

Woher bekomme ich Informationen für die Biografiearbeit?

Hilfreich sind beim Einzug des pflegebedürftigen Menschen Gespräche mit Angehörigen. Sie kennen seine Lebensgeschichte. Dementsprechend können sie Auskunft geben über den Beruf, die Interessen, Begabungen und Gewohnheiten. Je detaillierter diese Informationen ausfallen, desto besser. Viele Seniorenheime setzen dafür einen Biografiebogen ein. Die Informationen bleiben allerdings oft oberflächlich. Außerdem handelt es sich um einen Außenblick der Familie auf ihren Angehörigen. Sie erzählen, was ihnen wichtig erscheint. Aber sieht der pflegebedürftige Mensch das genauso? Oder setzt er andere Prioritäten?

Als Pflege- oder Betreuungskraft erfahren Sie im täglichen Kontakt viel über die Bewohnerinnen und Bewohner im Pflegeheim: Sie erleben sie jeden Tag. Sie kennen ihren aktuellen Gesundheitszustand, ihre Essensvorlieben und ihre Tagesgestaltung. Durch aufrichtiges Interesse an den Pflegebedürftigen, aufmerksames Zuhören und Beobachten gewinnen Sie bei jeder Begegnung neue Informationen und Erkenntnisse. Manchmal sind es beiläufige Äußerungen, die verraten, wie jemand die Welt sieht.

Signalisieren Sie in Gesprächen mit Pflegebedürftigen Interesse. Stellen Sie möglichst offene Fragen. Diese sollten zur jeweiligen Situation passen, sodass sich ein richtiger Austausch entwickeln kann.

Hier sind zum Beispiel ein paar Ideen für Gespräche:

  • „Was war Ihre schönste Reise?“
  • „Welche Bücher / Lieder / Fernsehstars mochten Sie in Ihrer Jugend?“
  • „Was haben Sie gesammelt?“
  • „Welche Hobbys waren Ihnen wichtig?“
  • „Wie haben Sie als Kind Weihnachten gefeiert?“
  • „Was denken Sie über Sternzeichen und Horoskope?“
  • „Was haben Sie mit Ihren Freunden unternommen, als Sie jung waren?“

Machen Sie sich später Notizen. Mit der Zeit entsteht daraus eine Persönlichkeitscollage.

Wie lässt sich Biografiearbeit in die Betreuung integrieren?

Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf die wir im Folgenden eingehen möchten:

Gegenstände als Erinnerungshilfen

Typische Gebrauchsgegenstände funktionieren als Türöffner in die Vergangenheit. Im Idealfall sprechen sie mehrere Sinne an. Gut geeignet sind Kaffeemühlen. Die Seniorinnen und Senioren erkennen den Gegenstand. Sie wissen, wie frische Kaffeebohnen gemahlen werden, und sie haben Freude an der Bewegung. Das entstehende Kaffeepulver duftet herrlich und lässt sich direkt im Anschluss aufbrühen und mit Keksen oder einem Stück Kuchen servieren. Kleine Momente wie diese aktivieren vorhandene Ressourcen. Der Spaß bei der gemeinsamen Aktivität steigert die Lebensfreude.

Musik zur Aktivierung des Gedächtnisses

Seniorinnen und Senioren erinnern sich an die Stars ihrer Jugend. Lieder von Elvis Presley, den Beatles oder Hildegard Knef bleiben im Gedächtnis. Das gemeinsame Singen bekannter Volkslieder, Kinder- und Weihnachtslieder reduziert Stress. Außerdem sorgt es für eine positive Atmosphäre und stärkt den Zusammenhalt der Gruppe. Musik ist ein besonders wirkungsvolles Mittel, um alte Erinnerungen aufleben zu lassen.

Erinnerungsecken für Zeitreisen

In Pflegeheimen bietet sich die Gestaltung von Erinnerungsecken an. Das können gemütliche Treffpunkte mit Alltagsgegenständen wie Nähmaschinen, Ansichtskarten oder Spielzeug sein. Im Idealfall stammen Stühle, Tische und Dekorationen aus der Kindheit, der Jugend oder dem frühen Erwachsenenalter der Pflegebedürftigen.

Wandbilder zum Erinnern

Eine Fotocollage kann deutsche Geschichte und Alltagskultur zwischen 1930 und 2000 lebendig machen. Am besten eignet sich ein thematischer Mix aus Sport, Alltagssituationen, Haushaltsgeräten, Süßigkeiten, Spielsachen, Fernsehserien und Autos. Symbolfotos können typische Lebensstationen einfangen. Eine solche Collage bietet zahlreiche Gesprächsthemen, die sich zur Kontaktaufnahme mit noch fremden Menschen und zur Erinnerung gleichermaßen eignen.

Digitale Biografiearbeit

Es ist nicht einfach, passende Fotos zu finden oder die richtigen Gegenstände aufzuspüren. Gegenstände nehmen Platz ein und sie brauchen Pflege. Dazu kommt, dass ans Bett gefesselte Menschen Erinnerungsecken und Fotocollagen nicht aus eigener Kraft aufsuchen können. Auch die Teilnahme an gemeinschaftlichen Gesprächen beim Essen oder bei Freizeitaktivitäten entfällt.

Eine mögliche Lösung bietet der CareTable, ein großer Touchscreen. Auf dem digitalen Aktivitätstisch können Sie Fotos und Filme zeigen. Dank seiner stabilen Rollen lässt er sich flexibel in jedem Zimmer einsetzen. Sie können ihn an die Betten von Pflegebedürftigen mitnehmen, ihn in der Gruppenbetreuung einsetzen oder für die intensive Einzelarbeit nutzen:

  • Zeigen Sie Fotos und Ansichtskarten in augenfreundlicher Größe.
  • Machen Sie beliebte Stars wie Romy Schneider durch kurze Filmsequenzen oder Bilder
    lebendig.
  • Unternehmen Sie virtuelle Erinnerungsreisen zu bekannten deutschen oder internationalen Städten
    mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.
  • Machen Sie Spiele, die die Erinnerung aktivieren.
  • Hören Sie Musik, die die Person früher geprägt hat oder musizieren sie sogar mithilfe digitaler Instrumente gemeinsam

Grenzen der Biografiearbeit

Biografiearbeit ersetzt keine Therapie. Traurige Momente lassen sich nicht immer vermeiden. Kriegserfahrungen, aber auch persönliche Tragödien wie eine Scheidung oder der Verlust eines Kindes belasten Menschen oft bis ins hohe Alter. Im Mittelpunkt der Erinnerungsarbeit sollten positive Situationen stehen. Es geht darum, die Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen zu erhöhen.

Fazit

Biografiearbeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Pflege. Sie nutzt die vorhandenen Ressourcen und aktiviert ältere Menschen durch den Rückgriff in die Vergangenheit. Die Erinnerung an ihre eigene Lebensgeschichte gibt Seniorinnen und Senioren die Möglichkeit, sich an frühere Erfahrungen und Erlebnisse zu erinnern. Das trainiert und schützt ihr Langzeitgedächtnis.

Gleichzeitig macht tiefergehendes Wissen über die Lebensgeschichte der Bewohnerinnen und Bewohner eine individuelle und persönliche Pflege möglich: Als Pflege- oder Betreuungskraft können Sie auf ältere Menschen besser eingehen. Das erhöht die Lebensfreude und Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner in der Pflegeeinrichtung.